zu viel macht inaktiv!
Die hiesige Wirtschaftswelt krankt weniger an mangelndem Know-how als vielmehr an einer übertriebenen Zurschaustellung von Abläufen. Scheinbar strukturgebende Handlungen führen in Wahrheit zu Inaktivität. Die eigentliche Leistungserbringung rückt in den Hintergrund, während der Arbeitsalltag von einem protokollierten Abwarten geprägt ist: auf Antworten, Genehmigungen, Rücksprachen. Die Organisation gaukelt Kontrolle vor, erzeugt aber hauptsächlich unproduktive Phasen. Formulare, Aufzeichnungen und wiederkehrende Besprechungen beanspruchen Personalressourcen, ohne einen messbaren Ertrag zu liefern. Anstatt Probleme anzugehen, wird deren Fortbestand verwaltet.
Obwohl es kaum verlässliche Zahlen gibt, liefert eine Untersuchung der Universität St. Gallen aus dem Jahr 2019 zum Thema "organisatorische Bürokratie" eine ungefähre Einschätzung: Führungskräfte verwenden durchschnittlich 30 % ihrer Arbeitszeit für interne Abstimmungen, bei der mittleren Führungsebene sind es sogar bis zu 50 %. Der gesamtwirtschaftliche Schaden lässt sich nicht exakt beziffern, zeigt sich aber in einer sinkenden Produktivität bei gleichbleibender Arbeitszeit. Die Organisation beschäftigt sich primär mit sich selbst. Entscheidungsprozesse werden in Besprechungen verlagert, deren Tagesordnung nicht auf inhaltlichen Aspekten, sondern auf der Absicherung von Verantwortlichkeiten basiert. Eine Diskussion über den Status einer Maßnahme dauert länger als deren tatsächliche Umsetzung. Die Teilnahme an einem Termin wird zum Ersatz für das tatsächliche Ergebnis.
Dabei ist dieser hohe Grad an Bürokratie nicht zwangsläufig, sondern hat sich historisch und kulturell entwickelt. Die Streuung von Verantwortlichkeiten und die Angst vor Fehlern führen zu unnötigen Kontrollmechanismen. Ein einfacher Vorgang wie die Aufgabe einer Bestellung kann mehrere Genehmigungsstufen und verschiedene Systeme durchlaufen, ohne dass jemand die tatsächliche Verantwortung übernimmt. Gleichzeitig wird über Effizienzsteigerung diskutiert – in wöchentlichen Routinebesprechungen, die bereits mehrere Termine im Kalender blockieren.
Lösungsansätze beginnen nicht bei der Einführung neuer Technologien, sondern bei einer konsequenten Beschränkung auf das Wesentliche. Das Kernproblem ist nicht das Werkzeug selbst, sondern der Zwang, jede Tätigkeit formal zu rechtfertigen. Die eigentliche Wertschöpfung muss wieder zum Standard werden – und nicht die Ausnahme sein, die zusätzlich dokumentiert werden muss. Prozesse sind kein Selbstzweck. Wer Besprechungen lediglich einberuft, um den Fortschritt seit der letzten Besprechung zu erfragen, betreibt keine aktive Projektsteuerung, sondern lediglich eine Statusaktualisierung.
Der zielführende Ansatz ist die Reduktion. Nicht als rein ästhetisches Prinzip, sondern als eine funktionale Entscheidung: Welche Aktivität trägt tatsächlich zum Erfolg bei und welche nicht? Die Lean-Philosophie spricht hier von "Verschwendung" – im Büroalltag bedeutet dies: unnötige Arbeitsschritte, mehrfache Genehmigungen, ungenutzte Protokolle. Technologien wie "Process Mining" können helfen, diese verborgenen Ineffizienzen sichtbar zu machen. Ziel ist dabei nicht eine verstärkte Überwachung, sondern die Verlagerung der Kontrolle dorthin, wo sie tatsächlich Wirkung zeigt – nämlich am Ort der eigentlichen Leistungserbringung.
Solange der Großteil des Arbeitstages damit verbracht wird, den Arbeitstag selbst zu organisieren, ist die Wertschöpfung kein integraler Bestandteil des Systems mehr, sondern wird zu einem störenden Faktor. Wer diese grundlegende Problematik nicht erkennt, führt keine wirkliche Veränderung herbei – sondern setzt den bestehenden Zustand lediglich fort.